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Gespräch mit Ole am 16. Juli 2024
Ich bin 13 Jahre alt und gehe in eine Gesamtschule in Deutschland. Das bedeutet, Haupt- Realschule und Gymnasium werden gemeinsam unterrichtet. Wir dürfen in jedem Fach entscheiden, welchen Schwierigkeitsgrad unser Unterricht haben soll. Eine weitere Besonderheit ist, dass es sich um eine Ganztagsschule handelt und wir keine Hausaufgaben haben, sondern stattdessen immer bis nachmittags Unterricht haben. Wir haben einen Werkstattraum und haben die Möglichkeit, Hütten auf dem Schulgelände zu bauen. Das macht mir viel Spaß.
Eigentlich mag ich alle Fächer gerne, vor allem Kunst, Sport und Deutsch. Meine Dyslexie bemerke ich daran, dass ich beim Lesen länger brauche und beim Schreiben häufig in jedem Wort Rechtschreibfehler mache.
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich genau gemerkt habe, dass ich Schwierigkeiten dabei habe, Lesen und Schreiben zu lernen.
Meine Eltern berichten, dass es Mitte des Schuljahres in der ersten Klasse anfing, als wir Buchstaben und Laute mithilfe eines Lesebuchs lernten. Ich habe mich über die Lautstärke der anderen Kinder beschwert, was wohl daran lag, dass ich die Seiten im Buch auswendig lernen musste, um im Unterricht mitzukommen. Dafür musste ich mich viel mehr konzentrieren, als die Kinder, die das Buch lesen konnten.
Mein Vater hat ebenfalls Dyslexie und konnte verstehen, wie es mir ging. Wir haben dann gemeinsam geübt und ich habe eine Klasse wiederholt.
Nach langer Suche haben meine Eltern dann das Angebot der Lese-Rechtschreib-Klasse in Freiburg gefunden.
Diese Klasse, ist speziell für Kinder mit Dyslexie, aber auch für Kinder mit Migrationshintergrund und anderen Schwierigkeiten in der Sprache. Die Lehrkräfte sind sehr engagiert und die Klassengröße ist mit 6-12 Kindern sehr klein. Wir hatten extra viel Deutschunterricht und konnten so viele Dinge beim Lesen und Schreiben intensiver üben. Leider begann nach dem zweiten Tag nach meinem Start dort direkt der Corona-Lockdown, doch trotzdem habe ich mich dort wohlgefühlt.
In meiner aktuellen Klasse ist nur ein anderes Kind mit Dyslexie von dem ich weiß. Das war vorher auch mit mir in der Lese-Rechtschreib-Klasse.
Im Alltag merke ich die Dyslexie besonders, wenn ich beispielsweise Speisekarten lesen muss. Dann brauche ich etwas länger. Besonders anstrengen finde ich es, wenn sich Texte bewegen, wie das bei Werbeplakaten oder Anzeigen in Bussen und Bahnen oft der Fall ist. Da kann ich den Text dann teilweise nicht zu Ende lesen, bevor er wieder verschwindet. (Auch aus diesem Grund fahre ich jeden Schultag 10 Kilometer mit dem Fahrrad in die Schule).
Am Anfang habe ich mich oft über meine Dyslexie geärgert und war beim Üben sehr frustriert. Inzwischen habe ich es aber akzeptiert und kommuniziere auch ganz offen, wenn ich Schwierigkeiten habe. Insgesamt fände ich es wichtig, dass mehr Menschen erfahren, was Legasthenie ist und damit besser verstehen können, was das bedeutet.
In meiner alten Klasse haben wir einmal einen Nachrichtenbeitrag von Kindernachrichten angesehen, in welchem erklärt wurde, was bei Legasthenie im Gehirn passiert. Auch mit meiner Familie sehe ich manchmal Fernsehbeiträge zu dem Thema und dann reden wir gemeinsam darüber.
In der Schule habe ich die Möglichkeit, einen Lesestift zu verwenden. Den nutze ich aber nur selten, weil es oft aufwendiger ist, Ihn ständig ein und auszupacken, als direkt mit dem Lesen anzufangen. Deshalb geht es mit dem Lesen dadurch nicht wirklich schneller.
Zusätzlich bekomme ich bei Vokabeltests eine LRS-Version, bei welcher die Vokabeln durcheinander auf einer Seite stehen. So kann ich die Worte mit der richtigen Rechtschreibung abschreiben und gleichzeitig zeigen, dass ich die Übersetzung kenne.
Einmal in der Woche besuche ich eine Lerntherapie, doch mit dem Ende des Schuljahres muss neu entschieden werden, ob diese verlängert wird. Dafür müssten wir dann wieder einen Antrag stellen.
Vielen Dank für Deinen Einblick, lieber Ole!