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Komorbiditäten – wenn Diagnosen aufeinandertreffen

Lernstörungen treten häufig gemeinsam mit anderen psychischen oder neurologischen Erkrankungen auf. Besonders ADHS, Angststörungen und Depressionen sind weit verbreitete Begleiterkrankungen, die zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen.

In diesem Beitrag erfahren Sie, was unter Komorbidität zu verstehen ist und warum sie bei Lernstörungen wie Dyslexie und Dyskalkulie so häufig vorkommt.

 Weiterführende Links können bei der Suche nach Unterstützung behilflich sein.

Was bedeutet Komorbidität?

Der Begriff Komorbidität beschreibt das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehr Erkrankungen bei einer Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Auch Begriffe wie Begleiterkrankungen oder Begleitstörungen werden in diesem Zusammenhang verwendet. ¹ 

Komorbidität bei Lernstörungen – was bedeutet das konkret? 

Kinder mit Lernstörungen wie Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Störung) oder Dyskalkulie (Rechenstörung) haben häufig zusätzliche psychische oder neurologische Beeinträchtigungen. Diese sogenannten Komorbiditäten können schulische und alltägliche Herausforderungen erheblich verstärken. ² 

Studien zeigen, dass bis zu 62 % der Kinder mit einer Lernstörung mindestens eine weitere psychische oder neurologische Diagnose erhalten. ³ Oft treten Dyslexie und Dyskalkulie gemeinsam auf – in bis zu 45 % der Fälle sind beide Lernstörungen gleichzeitig vorhanden. ² Das bedeutet: Ein Kind mit Dyslexie hat ein erhöhtes Risiko, auch Symptome einer Dyskalkulie zu zeigen – und umgekehrt. 

Diese Überlappung kann eine korrekte Diagnosestellung erschweren, da sich die Symptome teilweise überschneiden und gegenseitig beeinflussen. Um auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Kinder eingehen zu können, ist eine individuell angepasste, interdisziplinäre Förderung notwendig. 

Obwohl in den letzten Jahren die Forschung stark vorangeschritten ist, bestehen weiterhin viele offene Fragen zur Entstehung und Behandlung von Komorbiditäten. ³ Ein vertieftes Verständnis dieser Zusammenhänge kann dazu beitragen, gezieltere Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln. 

Häufige Komorbiditäten bei Lernstörungen

  • ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung): 
    Tritt bei etwa 28–33 % der Kinder mit Lernstörungen auf. ³ Die Symptome reichen von Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit bis hin zu innerer Unruhe und Impulsivität. Der Schweregrad variiert individuell. 

  • Angststörungen: 
    Kommen bei etwa 21–28 % der betroffenen Kinder vor. ³ Sie entstehen häufig aus Versagensängsten im schulischen Kontext oder aus sozialen Unsicherheiten – oft auch als Folge der Lernstörung. Besonders relevant sind hierbei Mathematikangst, Prüfungsangst und Schulangst, die den Teufelskreis aus Lernschwierigkeiten, Misserfolg und Angst weiter verstärken. 

  • Depressionen: 
    Etwa 28 % der Kinder mit Lernstörungen zeigen depressive Symptome. ³ Wiederholte Misserfolge, mangelndes Selbstvertrauen und schulischer Druck können diese begünstigen. Frühzeitige Unterstützung ist hier besonders wichtig. 

  • Sprachentwicklungsstörungen: 
    Treten in 11–28 % der Fälle auf – besonders häufig in Verbindung mit Dyslexie. ² Zu den typischen Anzeichen gehören eine eingeschränkte phonologische Bewusstheit, Schwierigkeiten beim Sprachverständnis und ein verlangsamter Wortabruf. 

  • Motorische Auffälligkeiten: 
    Etwa 17–27 % der Kinder mit spezifischen Lernstörungen weisen begleitende motorische Beeinträchtigungen auf, vor allem in der Feinmotorik. Eine häufige Begleitstörung ist die Dysgraphie, die insbesondere bei Dyslexie vorkommt. Sie ist jedoch klar von der Developmental Coordination Disorder (DCD) – also einer umschriebenen Entwicklungsstörung motorischer Funktionen – abzugrenzen. Da sich die Symptome beider Störungen stark ähneln, wird Dysgraphie häufig nicht erkannt oder fälschlich anderen Störungen zugeordnet. Studien zeigen, dass mangelnde Bekanntheit und unklare Diagnosen dazu führen, dass betroffene Kinder nicht die nötige Förderung erhalten. ⁴⁵ 
    Bei Kindern mit Dyskalkulie ist außerdem häufig die Fingerrepräsentation beeinträchtigt und es zeigen sich Probleme in der visuell räumlichen Verarbeitung. Auch Kinder mit einem diagnostizierten Defizit im räumlichen Denken weisen signifikante Rechenschwierigkeiten auf. 

  • Autismus Spektrum Störungen (ASS): 
    Es gibt Hinweise auf einen engen Zusammenhang zwischen ASS, spezifischen mathematischen Problemen und erhöhter Mathematikangst. ³ Die Prävalenzraten variieren je nach Studie, liegen jedoch teilweise über den in der Allgemeinbevölkerung berichteten Werten. 

  • Störungen des Sozialverhaltens: 
    Etwa 22 % der Kinder mit Lernstörungen zeigen oppositionelle oder aggressiv dissoziale Verhaltensweisen.³ 

  • Psychosoziale Belastungen : 
    Aktuelle Befunde zeigen, dass Kinder mit Lernstörungen häufig unter psychosozialen Belastungen leiden. Dies betrifft vor allem Mädchen und Kinder mit  mit Dyskalkulie.,  ⁶ Doch auch Kinder mit Dyslexie haben ein erhöhtes Risiko. Zu häufigen Belastungen zählen ein niedriges Selbstwertgefühl, erhöhte familiäre Konflikte sowie ausgeprägte Schulvermeidungstendenzen. Eine ganzheitliche Diagnostik und Intervention sollten diese Faktoren systematisch berücksichtigen.

Was gilt es bei Lernstörungen und ADHS zu beachten?

ADHS zählt zu den häufigsten Begleiterscheinungen bei Lernstörungen und betrifft etwa ein Drittel der betroffenen Kinder.³ Im schulischen Alltag können ADHS-bedingte Herausforderungen das Lernen zusätzlich erschweren – etwa durch Konzentrationsprobleme, Impulsivität und Schwierigkeiten beim strukturierten Arbeiten. 

Die Kombination aus Lernstörung und ADHS kann zu erhöhter Frustration, geringerer Motivation und langfristig zu einem negativen Lernverlauf führen. Umso wichtiger ist eine unterstützende Umgebung, die individuelle Stärken fördert und adaptive Lernstrategien ermöglicht. 

Zugleich findet in der ADHS-Forschung aktuell ein Paradigmenwechsel statt: ADHS wird zunehmend als Ausdruck von Neurodivergenz verstanden – also als natürliche Variation neurologischer Prozesse, nicht nur als Defizit. Viele Betroffene zeichnen sich durch besondere Stärken wie Kreativität, Energie, schnelle Auffassungsgabe oder sogenannten Hyperfokus aus.⁷ ⁸ ⁹ Inwiefern diese Potenziale den Umgang mit Lernstörungen positiv beeinflussen können, ist allerdings noch wenig erforscht. 

Aufgrund der wachsenden Erkenntnisse ist es wichtig, aktuelle Informationen zu berücksichtigen und spezialisierte Fachstellen in den diagnostischen und förderpädagogischen Prozess einzubeziehen – z. B. die ADHS-Organisation ELPOS Schweiz oder das Bundesamt für Gesundheit. 

Untersuchungen im Zusammenhang mit Dyskalkulie zeigen zudem, dass mathematische Schwierigkeiten überwiegend durch die Lernstörung selbst – und nicht primär durch ADHS – verursacht werden.³ Dies unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten Diagnostik. 

Weiterführende Links zum Thema ADHS:

ELPOS Schweiz – ADHS-Fachstelle für Eltern & Schulen: 
https://elpos.ch/ 

Mit Kindern lernen - Übersicht zu ADHS und Lernstörungen

https://www.mit-kindern-lernen.ch/adhs-lernstoerungen

ADHS und Lernstörungen – Abgrenzung zur Dyskalkulie (Fachartikel): 
Enthalten in: https://doi.org/10.2147/NDT.S120514 (Farmer et al., 2017) 

“I’m Doing Okay”: Strengths and Resilience of Children With and Without ADHD (PMC): 
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8643902/ 

Wie kann man Kinder mit mehreren Diagnosen gezielt unterstützen?

  • Frühzeitige Diagnostik und individuelle Förderung: 
    Eine rechtzeitige Erkennung und gezielte Intervention sind entscheidend, um schulische und soziale Belastungen zu vermeiden. 

Hier erhalten Sie mehr Informationen zur Diagnostik bei Lernstörungen 

  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit: 
    Schule, Eltern und Fachpersonen sollten eng zusammenarbeiten, um passende Maßnahmen abzustimmen und umzusetzen. Hierbei ist es ratsam, gemeinsam die Schwerpunkte der Förderung festzulegen und regelmässig zu evaluieren.

Hier finden Sie eine Übersicht von relevanten Anlaufstellen bei Lernstörungen

  • Individuelle Lernförderung: 
    Spezielle Programme und angepasste Unterrichtsmethoden können die schulischen Leistungen gezielt verbessern. 

Hier finden Sie Tipps für Lehrkräfte, um den Unterricht für Lernende mit Lernstörungen anzupassen 

Hier finden Sie Möglichkeiten zu spielerischen Förderung schulischer Kompetenzen

  • Nachteilsausgleiche & digitale Tools: Verlängerte Arbeitszeiten, Sprachausgabe Apps, Taschenrechner oder adaptive Lernsoftware kompensieren spezifische Defizite, ohne den Kompetenzzuwachs zu behindern. 

Hier finden Sie eine Liste von möglichen Nachteilsausgelichsmassnahmen bei Dyskalkulie 

Hier finden Sie eine Liste von Lernsoftware 

  • Psychosoziale Unterstützung: 
    Eine positive Lernumgebung, Förderung von Selbstvertrauen und ggf. psychologische Begleitung helfen, Folgeerkrankungen wie Ängste oder Depressionen vorzubeugen. 

Hier finden Sie Tipps für Eltern, die helfen können, ein Kind mit Lernstörungen zu unterstützen 

Quellen

Fußnoten 

  1. Dorsch Lexikon der Psychologie – Komorbidität: https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/komorbiditaet 
  2. Hogrefe Verlag – Komorbiditäten bei Lernstörungen: https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/2235-0977/a000246 
  3. Frontiers in Psychiatry – Überblick neurokognitiver Komorbiditäten: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2020.00292/full 
  4. International Dyslexia Association – Understanding Dysgraphia: https://dyslexiaida.org/understanding-dysgraphia/ 
  5. Psychomotorik Schweiz – UEMF Factsheet (2024) 
  6. Poltz, N., Ehlert, A., Wagner, L. et al. (2025): Gender differences in learning difficulties (LD): Prevalence and comorbidities. Lernen und Lernstörungen. 
  7. PMC (2021): Strengths and Resilience of Children With and Without ADHD: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8643902/ 
  8. Springer (2020): The Positive Aspects of ADHD: https://link.springer.com/article/10.1007/s12402-020-00327-5 
  9. ScienceDirect (2023): Resilience in the Face of Neurodivergence: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1750946723000152 

 

 

Weiterführende Informationen

Abklärung von Lernstörungen

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Lernstörungen 1x1

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